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Wir lernen durch Beobachtung der Überlebenden.
Lehre der Bene Gesserit
Von all den Millionen sagenhaften Welten des Imperiums kannte der junge Duncan Idaho bislang nur Giedi Primus, einen ölverschmutzten, völlig industrialisierten Planeten voller künstlicher Gebäude, rechteckiger Winkel, Metall und Rauch. Den Harkonnens gefiel es so; sie wollten nichts an ihrer Heimatwelt ändern. Duncan hatte in den acht Jahren seines Lebens nichts anderes kennen gelernt.
Doch jetzt wären ihm selbst die düsteren und verdreckten Straßen seiner verlorenen Heimat ein willkommener Anblick gewesen. Nach monatelanger Gefangenschaft zusammen mit seiner Familie fragte sich Duncan, ob er sich jemals wieder außerhalb der riesigen Sklavenstadt Barony aufhalten würde. Oder ob er überhaupt noch seinen neunten Geburtstag erleben würde, der nicht mehr allzu weit entfernt sein konnte. Er fuhr sich mit einer Hand durch sein lockiges schwarzes Haar und spürte, wie er schwitzte.
Und er lief weiter. Die Jäger kamen immer näher.
Duncan befand sich nun unterhalb der Gefängnisstadt, wo ihm die Verfolger auf den Fersen waren. Er hastete gebückt durch die engen Wartungstunnel und kam sich wie das Nagetier mit den Stacheln auf dem Rücken vor, das seine Mutter ihm als Haustier geschenkt hatte, als er fünf Jahre alt gewesen war. Er machte sich noch kleiner und kroch durch schmale Durchgänge, stinkende Lüftungsschächte und Röhren mit Energieleitungen. Die großen Erwachsenen mit den gepanzerten Rüstungen konnten ihm niemals in dieses Labyrinth folgen. Er schürfte sich die Ellbogen an Metallwänden auf und wand sich durch Hohlräume, die für andere Menschen völlig unzugänglich waren.
Der Junge schwor sich, dass er sich nicht von den Harkonnens einfangen lassen würde – zumindest nicht heute. Er hasste ihre Spiele und wollte von niemandem als Spielzeug oder leichte Beute missbraucht werden. Während er sich mithilfe seines Geruchssinns und seiner Instinkte einen Weg durch die Dunkelheit suchte, spürte er, wie ihm abgestandene Luft ins Gesicht wehte, was ihm einen Hinweis auf die Richtung der Luftzirkulation gab.
Sein Gehör fing leise Echos auf: die Geräusche anderer gefangener Kinder, die ebenfalls verzweifelt davonliefen. Eigentlich sollten sie im Team arbeiten, aber Duncan hatte aus früheren Misserfolgen gelernt, sich nicht auf Menschen zu verlassen, deren kämpferische Fähigkeiten seinen eigenen unterlegen waren.
Er schwor sich, dass er den Jägern diesmal entkommen würde, aber gleichzeitig wusste er, dass er sich niemals ganz befreien konnte. In dieser abgeschotteten Umgebung würden die Suchtrupps ihn irgendwann wieder einfangen und das Spiel immer von neuem beginnen. Sie bezeichneten es als »Training«. Doch wofür sie trainierten, wusste er nicht.
Duncan tat immer noch die rechte Seite von der letzten Episode weh. Wie ein preisgekröntes Tier hatten seine Peiniger ihn in eine Maschine gelegt, die seine Verletzungen genäht und seine Zellen einer Aku-Reparatur unterzogen hatte. Seine Rippen waren immer noch nicht ganz in Ordnung, aber sein Zustand hatte sich von Tag zu Tag gebessert. Bis jetzt.
Mit der Lokalisator-Sonde, die in seine Schultermuskeln implantiert war, hatte Duncan keine echte Chance, jemals aus der Sklaven-Metropole zu entkommen. Barony war eine megalithische Konstruktion aus Plastahl und Panzerplaz, 950 Stockwerke hoch und 45 Kilometer lang, ohne irgendwelche Ausgänge auf Bodenniveau. Wenn er von den Harkonnens gejagt wurde, gab es stets zahlreiche Verstecke für ihn, aber niemals eine reale Aussicht auf Freiheit.
Die Harkonnens hatten viele Gefangenen und setzten sadistische Methoden ein, um sie zur Kooperation zu bringen. Wenn Duncan diese Trainingsjagd gewann, wenn er sich den Verfolgern lange genug entzog, konnten er und seine Familie in ihr früheres Leben zurückkehren, hatten die Gefängniswärter versprochen. Den anderen Kindern war dasselbe zugesichert worden. Sie brauchten ein Ziel, damit sie genügend motiviert waren, um den Sieg zu kämpfen.
Er ließ sich von seinem Instinkt durch die geheimen Passagen leiten und versuchte, möglichst wenig Lärm zu machen. Nicht weit entfernt hörte er das Knistern eines Lähmers, den hellen Schmerzensschrei eines Kindes, dann spastisches Zähneklappern, als wieder einer der Jungen niedergestreckt wurde.
Wenn man von den Verfolgern geschnappt wurde, fügten sie einem Schmerzen zu – manchmal starke und gelegentlich schlimmere, je nach dem, wie viele »Lehrlinge« gerade zur Verfügung standen. Es war kein kindliches Versteckspiel. Zumindest nicht für die Verfolgten.
In seinem Alter wusste Duncan bereits, dass Leben und Tod ihren Preis hatten. Den Harkonnens war es gleichgültig, welches Leid sie den Kandidaten im Verlauf ihrer Übungen zufügten. Das war die Vorstellung der Harkonnens von einem Spiel. Duncan wusste, was grausame Vergnügungen waren. Er hatte andere dabei beobachtet, vor allem die Kinder, die mit ihm eingesperrt waren, wenn sie Insekten die Flügel ausrissen oder kleine Nagetierbabies anzündeten. Die Harkonnens und ihre Truppen waren wie erwachsene Kinder, nur dass sie über größere Möglichkeiten, größeren Einfallsreichtum und größere Boshaftigkeit verfügten.
Er stieß auf eine verrostete schmale Leiter und kletterte geräuschlos in die Dunkelheit hinauf, ohne seine Zeit mit Nachdenken zu vergeuden. Duncan musste unerwartete Dinge tun, sich dort verstecken, wo man ihn nicht ohne weiteres erreichen konnte. Die vom Zahn der Zeit zernagten Sprossen fügten seinen Händen Schmerzen zu.
Dieser Sektor des alten Barony war noch in Betrieb; Energieleitungen und Suspensorröhren schlängelten sich wie Wurmlöcher durch das Hauptgebäude – gerade, gekrümmt und im plötzlichen Winkel abbiegend. Dieser Abschnitt war ein gigantischer Hindernisparcours, wo die Harkonnen-Truppen auf ihre Opfer schießen konnten, ohne Gefahr zu laufen, wichtige Einrichtungen zu beschädigen.
Von oben hörte er rennende Stiefel, die sich durch einen Hauptkorridor bewegten, von Helmkommunikatoren gedämpfte Stimmen, dann einen Ruf. Ein nahes Piepen signalisierte, dass die Wachen sein Lokalisationsimplantat geortet hatten.
Weißglühendes Lasgun-Feuer brach über ihm durch die Decke und schmolz sich durch die Metallplatten. Duncan stieß sich von der Leiter ab und ließ sich einfach fallen. Ein bewaffneter Wächter bog die heiße Bodenplatte zur Seite und zeigte auf ihn. Die anderen setzten erneut ihre Lasguns ein, um die Sprossen durchzutrennen, worauf die Leiter gemeinsam mit dem kleinen Jungen in die Tiefe stürzte.
Er landete auf dem Boden eines weiter unten gelegenen Stockwerks, dann traf ihn die schwere Leiter. Obwohl es schmerzte, schrie Duncan nicht auf. Damit hätte er seinen Verfolgern einen nützlichen Hinweis gegeben. Auch wenn er nicht hoffen konnte, ihnen auf längere Zeit zu entwischen, weil er den pulsierenden Lokalisator mit sich herumtrug. Dieses Spiel konnten nur die Harkonnens gewinnen.
Er zwang sich zum Aufstehen und rannte wieder los, mit erneuerter, verzweifelter Sehnsucht nach Freiheit. Zu seiner Bestürzung öffnete sich der kleinere Tunnel, den er entlang lief, in einen breiteren Korridor. Das war nicht gut. Hier konnten die größeren Männer ihn ohne Schwierigkeiten verfolgen.
Er hörte Rufe hinter sich, wieder rennende Schritte, Lasgun-Feuer und schließlich einen erstickten Schrei. Eigentlich sollten die Jäger nur Lähmer einsetzen, aber Duncan wusste, dass in diesem fortgeschrittenen Stadium der Jagd bestimmt fast alle anderen gefangen worden waren – und damit viel mehr auf dem Spiel stand. Die Jäger verloren nicht gerne.
Duncan musste überleben. Er musste der Beste sein. Wenn er starb, konnte er seine Mutter niemals wiedersehen. Aber wenn er überlebte und besser als diese Mistkerle war, würde seine Familie vielleicht ihre Freiheit zurückerhalten ... beziehungsweise das Maß an Freiheit, das jemand, der auf Giedi Primus in den Diensten der Harkonnens stand, erwarten konnte.
Duncan hatte Lehrlinge gesehen, denen es tatsächlich gelungen war, ihre Verfolger zu besiegen, und diese Kinder waren anschließend verschwunden. Wenn man den Bekanntmachungen glauben konnte, waren die Gewinner und ihre mitgefangenen Familien aus der Hölle von Barony freigelassen worden. Doch Duncan hatte dafür keinen Beweis, und es gab zahlreiche Gründe, infrage zu stellen, was die Harkonnens ihm erzählten. Aber er wollte ihnen glauben, er wollte die Hoffnung nicht aufgeben.
Er verstand nicht, warum seine Eltern in diesem Gefängnis gelandet waren. Was konnten kleinere Verwaltungsbeamte getan haben, um zu einer solchen Strafe verurteilt zu werden? Er wusste nur noch, dass an einem Tag das Leben recht normal und einigermaßen glücklich verlaufen war ... und am nächsten Tag waren sie plötzlich hier gewesen, zu Sklaven degradiert. Jetzt war der junge Duncan fast jeden Tag gezwungen, um sein Leben zu laufen und zu kämpfen – und für die Zukunft seiner Familie. Er wurde darin immer besser.
Er konnte sich noch gut an den letzten normalen Nachmittag draußen auf dem gepflegten Rasen erinnern, hoch oben auf einer Terrasse von Harko City, einem der wenigen Balkongärten, die die Harkonnens ihren Untertanen gestatteten. Die Beete und Hecken wurden sorgsam gedüngt und gepflegt, weil Pflanzen nicht allzu gut im verseuchten Boden eines Planeten gediehen, der seit zu langer Zeit missbraucht worden war.
Duncans Eltern und weitere Mitglieder der Familie hatten sich auf dem Rasen mit leichtsinnigen Spielen vergnügt und selbststeuernde Bälle auf Ziele im Gras geworfen, während interne Entropieerzeuger die Bälle unvorhersehbar springen und abprallen ließen. Der Junge hatte bemerkt, wie schwierig, langweilig und streng konzipiert die Spiele der Erwachsenen waren, verglichen mit dem hemmungslosen Herumtollen im Kreis seiner Freunde.
In der Nähe stand eine junge Frau, die das Spiel beobachtete. Sie hatte schokoladenbraunes Haar, dunkle Haut und hohe Wangenknochen, aber ihr verhärmter Gesichtsausdruck und ihr harter Blick hinderten sie daran, ihre bemerkenswerte Schönheit zu entfalten. Er wusste nicht, wer sie war, und hatte nur mitbekommen, dass sie Janess Milam hieß und irgendwie mit seinen Eltern zusammenarbeitete.
Während Duncan das Feldspiel verfolgte und auf das Gelächter horchte, lächelte er die Frau an und stellte fest: »Sie üben für das Alter.« Doch es war offensichtlich, dass Janess weder an ihm noch seiner Meinung interessiert war, denn sie hatte ihm lediglich eine schroffe Abfuhr erteilt.
Im getrübten Sonnenlicht hatte Duncan weiter das Spiel beobachtet, aber gleichzeitig eine wachsende Neugier auf die Fremde entwickelt. Er spürte, dass sie angespannt war. Janess, die nicht an den Vergnügungen teilnahm, blickte sich immer wieder um, als würde sie auf etwas warten.
Wenige Augenblicke später waren die Harkonnen-Truppen gekommen, hatten Duncans Eltern und ihn gepackt – und auch seinen Onkel und zwei Cousins. Er wusste intuitiv, dass Janess die Ursache von allem war, auch wenn er den Grund nicht verstand. Er hatte sie nie wieder gesehen, und seine Familie war jetzt seit einem halben Jahr im Gefängnis ...
Hinter ihm öffnete sich zischend eine Falltür in der Decke. Zwei blau uniformierte Verfolger sprangen hindurch, zeigten auf ihn und lachten triumphierend. Duncan stürmte los, wobei er immer wieder Haken schlug. Eine Lasgun-Salve wurde von der Wandverkleidung reflektiert und hinterließ eine Brandspur, die sich im Zickzack durch den Korridor zog.
Duncan hatte den Ozongeruch des verglühten Metalls in der Nase. Wenn auch nur eine dieser Energieblitze ihn traf, war er tot. Er hasste es, wie die Jäger kicherten, als würden sie lediglich mit ihm spielen.
Zwei Verfolger kamen plötzlich aus einem Seitengang, nur einen Meter vor ihm, aber Duncan bewegte sich so schnell für sie, dass sie nicht mehr rechtzeitig reagieren konnten. Er trat dem einen korpulenten Mann gegen das Knie und stieß ihn zur Seite, bevor er zwischen ihnen hindurchtauchte.
Der korpulente Mann stürzte, und als ein Laserstrahl seine Rüstung versengte, schrie er: »Hört auf zu schießen, ihr Idioten! Ihr könntet uns treffen!«
Duncan rannte schneller als jemals zuvor in seinem Leben, weil er wusste, dass seine Kinderbeine es niemals mit kampferprobten Erwachsenen aufnehmen konnten. Aber er wollte nicht aufgeben. Das war einfach nicht seine Art.
Vor ihm, wo sich der Korridor öffnete, sah er helle Lichter an einer Kreuzung mehrerer Gänge. Als er näher kam, bremste er ab und stellte fest, dass der Quergang gar kein Tunnel war, sondern eine Suspensorröhre, ein zylinderförmiger Schacht mit einem Holtzman-Feld im Zentrum. Schwerelose Rohrbahnen sausten ohne Widerstand durch die Röhre, um die Wege zwischen den einzelnen Sektoren der gewaltigen Gefängnisstadt zu verkürzen.
Es gab keine Türen und keine offenen Korridore. Duncan kam nicht weiter. Die Männer preschten immer näher heran und hoben ihre Waffen. Er überlegte, ob sie ihn auch dann erschießen würden, wenn er jetzt kapitulierte. Wahrscheinlich, dachte er, nachdem ich sie in den Adrenalinrausch versetzt habe.
Das Suspensorfeld schimmerte genau vor ihm im Zentrum des horizontalen Schachts. Er hatte eine ungefähre Ahnung, was es bewirkte. Für ihn gab es jetzt nur noch einen Ausweg, und er war sich nicht sicher, was geschehen würde – aber er wusste, dass man ihn bestrafen oder wahrscheinlich sogar massakrieren würde, wenn die Wächter ihn zu fassen bekamen.
Also drehte sich Duncan um und starrte in das Suspensorfeld, während sie immer näher heranrückten. Er holte tief Luft, um sich Mut zu machen, dann holte er mit seinen kurzen Armen aus und sprang mitten in die offene, schimmernde Röhre.
Sein lockiges schwarzes Haar flatterte im Wind, als er stürzte. Er schrie – es war eine Mischung aus einem verzweifelten Heulen und einem erleichtertem Seufzer. Wenn er hier starb, wäre er zumindest frei!
Dann packte ihn das Holtzman-Feld mit einem heftigen Ruck. Duncan hatte das Gefühl, dass sich sein Magen in den Brustkorb verlagerte, als er spürte, wie er in einem unsichtbaren Netz hing. Er schwebte, ohne abzustürzen, genau im neutralen Zentrum des Feldes. Diese Kraft hielt die Rohrbahnen in der Luft, wenn sie durch das gigantische Barony rasten. Also würde es seine Körpermasse problemlos tragen.
Er sah, wie die Wächter an den Rand des Bahnsteigs stürmten und ihn wütend anschrien. Einer drohte ihm mit geballter Faust. Zwei andere richteten ihre Waffen auf ihn.
Duncan strampelte, versuchte im Feld zu schwimmen – irgendetwas zu unternehmen, um sich von der Stelle zu bewegen.
Mit einem entsetzten Ausruf stieß ein Wächter die Lasgun seines Kollegen zur Seite. Duncan hatte gehört, zu welchen alptraumhaften Auswirkungen es kam, wenn ein Lasgun-Strahl in ein Holtzman-Feld geriet: Dadurch wurde ein interagierendes destruktives Potenzial erzeugt, das genauso tödlich wie die verbotenen Atomwaffen war.
Also setzten die Wächter stattdessen ihre Lähmer ein.
Duncan wand sich im freien Fall. Auch wenn er sich nirgendwo abstoßen konnte, wurde er auf diese Weise zu einem schwierigen Ziel, wenn er sich unkontrolliert bewegte. Die Lähmstrahlen wurden abgelenkt und schossen in gekrümmten Bahnen an ihm vorbei.
Obwohl ihn das Holtzman-Feld einhüllte, spürte er, wie sich der Luftdruck veränderte, die Folgen einer schnellen Bewegung. Er drehte sich, pendelte in der Luft – und sah die näherkommenden Lichter einer Rohrbahn.
Und er befand sich genau im Zentrum des Feldes!
Duncan schlug wild um sich, bemühte sich verzweifelt, von der Stelle zu kommen. Er trieb auf den gegenüberliegenden Rand des Bereichs der Schwerelosigkeit zu, fort von den Jägern. Sie feuerten immer noch auf ihn, aber der veränderte Luftdruck ließ die Strahlen noch weiter vom Ziel abweichen als zuvor. Er sah, wie die uniformierten Männer ihre Waffen nachjustierten.
Unter ihm befanden sich weitere Gänge, Rampen und Bahnsteige, die tiefer in die Eingeweide Baronys führten. Vielleicht konnte er dorthin gelangen ... wenn er es schaffte, sich irgendwie aus dem Feld zu befreien.
Der nächste Lähmstrahl streifte seinen Rücken in der Nähe der Schulter. Die Stelle wurde taub, Haut und Muskeln kribbelten, als würde er von tausend Insekten gleichzeitig gestochen.
Schließlich konnte sich Duncan aus dem Feld winden und fiel. Gerade noch rechtzeitig sah er das Geländer und streckte den unbeeinträchtigten Arm danach aus. Seine Finger klammerten sich darum, dann toste die Rohrbahn mit grellem Kreischen vorbei ... und verfehlte ihn nur um wenige Zentimeter.
Während seines kurzen Falls hatte er noch keine hohe Geschwindigkeit erreicht; trotzdem hätte ihm der plötzliche Ruck beinahe das Schultergelenk ausgekugelt. Duncan kletterte über das Geländer und lief in einen Tunnel, doch es war nur eine kleine Nische mit Metallwänden. Hier ging es nicht weiter. Die Luke war fest verschlossen und verriegelt. Er hämmerte dagegen, aber sie gab nicht nach.
Dann fiel die Tür hinter ihm zu, so dass er in einen winzigen Raum mit gepanzerten Wänden eingesperrt war. Er war gefangen. Die Jagd war vorbei.
Kurz darauf öffneten die Wächter die Tür. Als sie ihn mit gezückten Waffen anstarrten, erkannte er in ihren Blicken eine Mischung aus Wut und Bewunderung. Duncan hatte resigniert und wartete nur noch darauf, dass sie ihn erschossen.
Doch stattdessen lächelte der Hauptmann der Wachen ohne jeden Humor und sagte: »Herzlichen Glückwunsch, mein Junge. Du hast es geschafft.«
* * *
Duncan war wieder in der Zelle und saß erschöpft zwischen seinem Vater und seiner Mutter. Sie widmeten sich ihrer täglichen Mahlzeit aus fadem Getreide, Stärkekuchen und Proteinchips. Diese Dinge enthielten ausreichend Nährstoffe, aber boshafterweise stets einen üblen oder gar keinen Geschmack. Bis jetzt hatte der Junge nicht mehr von den Wächtern erfahren, nur dass er »es geschafft« hatte. Das musste die Freiheit bedeuten. Er konnte nur hoffen.
Die Zelle der Familie war verdreckt. Obwohl seine Eltern sich bemühten, sie sauber zu halten, hatten sie weder Besen oder Lappen noch Reinigungsmittel zur Verfügung und sehr wenig Wasser, das sie nicht für sanitäre Zwecke vergeuden konnten.
In den Monaten der Gefangenschaft war Duncan einer drastischen und brutalen »Ausbildung« unterzogen worden, während seine Familie nur abwarten konnte, was geschah, ohne die Tage in irgendeiner Form nutzen zu können. Alle hatten Nummern bekommen, Adressen der Sklavenzellen, aber (mit Ausnahme von Duncan) weder eine Arbeit oder Tätigkeit oder sonstige Ablenkungsmöglichkeit. Ihnen blieb nichts übrig als abzuwarten, dass sich irgendetwas veränderte ... während sie sich gleichzeitig davor fürchteten, dass es eines Tages zu einer Veränderung kam.
Jetzt erzählte Duncan seiner Mutter aufgeregt und voller Stolz von seinen Abenteuern, wie er seine Verfolger ausgetrickst hatte, wie er mit großem Geschick sogar die besten Harkonnen-Jäger in die Irre geführt hatte. Kein anderes Kind hatte am heutigen Tag über sie triumphieren können, aber Duncan war überzeugt, dass er alles Nötige getan hatte, um ihnen die Freiheit zu erkaufen.
Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie entlassen wurden. Er versuchte sich vorzustellen, wie seine Familie wieder draußen im Freien stand und zum klaren, sternenübersäten Nachthimmel aufblickte.
Sein Vater bedachte den Jungen mit einem stolzen Lächeln, aber seine Mutter wollte nicht recht glauben, dass so etwas tatsächlich geschehen konnte. Sie hatte allen Grund, den Versprechungen der Harkonnens keinen Glauben zu schenken.
Nach einziger Zeit flackerte die Zellenbeleuchtung, das lichtundurchlässige Türfeld wurde transparent und öffnete sich. Eine Gruppe blau uniformierter Gefängniswärter begleitete den lächelnden Hauptmann, der die Jagd auf ihn angeführt hatte. Duncans Herz machte einen Satz. Sind wir jetzt frei?
Doch das Lächeln des Hauptmanns gefiel ihm überhaupt nicht.
Die Uniformierten traten respektvoll zur Seite, um einem Mann mit breiten Schultern, dicken Lippen und starken Muskeln Platz zu machen. Sein Gesicht war sonnengebräunt, als hätte er längere Zeit fern vom düsteren Giedi Primus verbracht.
Duncans Vater sprang auf und verbeugte sich unbeholfen. »Mylord!«
Rabbans Augen ignorierten die Eltern und konzentrierten sich ausschließlich auf den rundgesichtigen jungen Lehrling. »Der Jagdhauptmann berichtet mir, dass du der Beste unter den Jungen bist«, sagte er zu Duncan. Als er in die Zelle trat, drängten sich hinter ihm auch einige Wächter herein. Rabban grinste.
»Sie hätten ihn bei der heutigen Übung erleben sollen, Mylord«, sagte der Hauptmann. »Der Einfallsreichtum dieses Balgs ist beispiellos.«
Rabban nickte. »Nummer 11368. Ich habe deine Akten studiert und mir Holos von deinen Jagden angesehen. Sind deine Verletzungen schlimm? Es geht einigermaßen? Du bist noch jung, sie werden schnell verheilen.« Sein Blick wurde härter. »Du wirst uns noch viel Spaß bereiten. Wir wollen doch mal sehen, wie du dich gegen mich schlägst.«
Er drehte sich um. »Komm mit, Junge. Wir gehen auf die Jagd. Sofort.«
»Mein Name ist Duncan Idaho«, erwiderte der Junge in trotzigem Tonfall. »Ich bin keine Nummer.« Seine Stimme war dünn und hell, aber darin lagen Mut und Selbstbewusstsein. Seine Eltern waren schockiert. Die Wachen drehten sich überrascht um und starrten ihn an. Duncan warf seiner Mutter einen hilfesuchenden Blick zu, als würde er auf irgendeine Art von Rückendeckung hoffen. Doch stattdessen versuchte sie ihn zu beschwichtigen.
Rabban nahm dem Wachmann, der ihm am nächsten stand, ohne Eile die Lasgun ab. Genauso seelenruhig feuerte er Duncans Vater eine tödliche Energieladung in die Brust. Der Mann wurde gegen die Wand geworfen. Bevor seine Leiche zu Boden gleiten konnte, hatte Rabban die Waffe herumgeschwenkt und Duncans Mutter den Kopf verkohlt.
Duncan schrie. Beide Eltern stürzten zu Boden, leblose Haufen aus brennendem, blasenwerfendem Fleisch.
»Jetzt hast du keinen Namen mehr, Nummer 11368«, sagte Rabban. »Folge mir!«
Die Wächter packten ihn und ließen nicht zu, dass Duncan zu seinen Eltern eilte. Sie ließen ihm nicht einmal Zeit zum Weinen.
»Diese Männer müssen dich zuerst auf die nächste Spielrunde vorbereiten. Ich brauchte zur Abwechslung mal eine gute Jagd.«
Die Wächter zerrten den schreienden und um sich schlagenden Duncan aus der widerlichen Zelle. Innerlich fühlte er sich bereits tot – bis auf eine eiskalte Flamme des Hasses, in der die letzten Überreste seiner Kindheit verbrannten.